Mittwoch, 19. Januar 2011

Venus





Als die Venus neulich saße
    In dem Bade nackt und bloß
    Und Cupido auf der Schoß
Von dem Liebeszucker aße,
Zeigte sie dem kleinen Knaben
Alles, was die Frauen haben.

Marmelhügel sah er liegen,
    Von Begierden aufgebaut;
    Sprach zur Mutter überlaut:
Wann werd ich dergleichen kriegen,
Daß mich auch die Schäferinnen
Und die Damen liebgewinnen?

Venus lacht aus vollem Munde
    Über ihren kleinen Sohn,
    Denn sie sah und merkte schon,
Daß er was davon verstunde.
Sprach: Du hast wohl andre Sachen,
Die verliebter können machen.

Unterdessen ließ sie spielen
    Seine Hand auf ihrer Brust,
    Denn sie merkte, daß er Lust
Hatte, weiter nachzufühlen,
Bis ihr endlich dieser Kleine
Kam an ihre zarten Beine.

Venus konnte nichts mehr sagen
    Als: Du kleiner Bösewicht,
    Packe dich, du sollst noch nicht
Nach dergleichen Sachen fragen.
Wunden, die von Liebespfeilen
Kommen, die sind nicht zu heilen. 


Gedicht: Christian Hofmann von Hofmannswaldau, 17. Jhdt.

Dienstag, 11. Januar 2011

Eine kaiserliche Botschaft

Der Kaiser - so heißt es - hat dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat er beim Bett niederknien lassen und ihm die Botschaft ins Ohr geflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, daß er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt. Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes - alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Großen des Reichs - vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt. Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer. Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müßte er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor - aber niemals, niemals kann es geschehen -, liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. - Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.
  • (Franz Kafka)

Samstag, 1. Januar 2011

Zum Neuen Jahr

(Himmelsscheibe von Nebra)

hatte mich hingelegt,
mich aufzuwärmen 
unter der bettdecke.

der sekt war kaltgestellt
für die sylvesterparty,
die tagesschau sprühte 
feuerwerk in polynesien.

böllerschläge weckten mich,
es krachte in paris, berlin, new york
aus dem bildschirm.

vor dem fenster ging die 
sonne auf

(wulewuu)


ich bin frei und mir ist schlecht.
warum sollte mir nicht schlecht sein?
freilich sollte mir schlecht sein,
und es ist mir auch schlecht.


es könnte mir allerdings auch nicht schlecht sein,
dann würde ich sagen: ich bin frei
und mir ist nicht schlecht


(Ernst Jandl)